Honky Tonk Piano

Spiel Songs & Improvisiere (CD)

Stefan Veit

Edition Schott ED 21245

Selbst diejenigen, die nicht wissen, was ein Honky-Tonk-Piano ist, haben es bestimmt schon mal gesehen und gehört: in den Saloon-Szenen amerikanischer Western-Filme nämlich. Das Klavier klingt dort immer ein wenig verstimmt, was aber gut zur derb-aufmüpfigen Musik und zum literweise konsumierten Whisky passt. Genau das ist das Honky-Tonk-Piano. Und die passende Musik dazu ist die Honky Tonk Music, die zunächst ein Subgenre der Country und Western Music war. So steht es jedenfalls im ersten deutschsprachigen Honky-Tonk-Lehrwerk zu lesen, dessen Verfasser Stefan Veit nicht nur ein ausgewiesener Kenner der Materie ist, sondern auch ein ausgezeichneter Honky Tonk Pianist, wovon die beiliegende CD virtuos und beredt Zeugnis ablegt. Das Lehrwerk beruht auf Transkriptionen, die Veit von Dutzenden Honky-Tonk-Darbietungen verschiedener Pianisten (Crazy Otto, Jimmy Smith, Oscar Peterson, Dr. John u.a.) angefertigt hat. Es ist ja eine reine Imrovisationskunst, die normalerweise nicht schriftlich fixiert wird. Aus den Transkriptionen, die alle im Band abgedruckt sind, leitet der Autor neun charakteristische Honky-Tonk-Stile ab, von denen jeder sein eigenes Kapitel erhält. Die sind sehr ausführlich geraten, und es erfordert ein gewisses Maß an Interesse in Musiktheorie, wenn man Veits Ausführungen die erweiterte Bluestonleiter und ihre „color tones” oder „Hemiolen im Final Theme” betreffend folgen will (Kapitel Practice and Play, S. 46-48 und 54-55). Zahlreiche Notenbeispiele mit Akkordsymbolen helfen natürlich weiter, aber die Tastatur sollte in jedem Fall in Reichweite sein. Wenn es zur „Anleitung zur Improvisation” weitergeht, ist sie ohnehin unentbehrlich. Zu seinen Improvisationsübungen schreibt Veit, sie seien „so einfach gehalten, dass auch Improvisationseinsteiger hier fündig werden”. Das ist sicher richtig. Aber wie ein Selbstversuch zeigt, fließt dennoch viel Schweiß und Tränen. Man kann es aber auch einfach dabei belassen,

die Transkriptionen zu spielen. Die sind zwar pianistisch manchmal recht anspruchsvoll (Black and White Rag!), aber dafür stammen sie von Meistern der Improvisation, und dafür nimmt man gern ein paar Schweißperlen mehr in Kauf.


Robert Nemecek

erschienen in: Piano News November/Dezember  6 / 2014, Seite 92



Veit, Stefan

Honky Tonk Piano (schott)

Play Songs & Improvise, mit CD


Hertel, Andreas

Let´s Play Jazz (doblinger)

Einführung ins Jazzspiel für Klavier, Spielstücke in verschiedenen Jazz-Stilen und

Improvisationsanleitungen, mit CD


 

So unterschiedlich im methodischen Vorgehen, so ähnlich in der Zielsetzung: Andreas Hertel

und Stefan Veit wollen KlavierschülerInnen der (oberen) Mittelstufe in den Stand setzen, auf  

Grundlage vorgelegten Materials stilsicher zu improvisieren. Veit beschränkt sich auf eine

Gattung, die titelgebend ist. Honky Tonk ist über einen Stones-Song ins allgemeine

Bewusstsein gelangt, im eigentlichen Sinne handelt es sich um Klaviermusik, die in weißen

Barrelhouses bzw. eben Honky Tonks in den Südstaaten der USA gespielt wurde.

Markenzeichen des Klavierklangs sind Verstimmung und Scheppern. In den beigefügten

Tonaufnahmen werden derart präparierte Klanggewänder geboten, manche von ihnen wirken

durch ihre digitale Bearbeitung etwas statisch. Honky Tonk Piano beinhaltet mehrer Stile:

Country, Ragtime, Stride und im Schwerpunkt Blues und Boogie.

Hertel liefert in Let´s Play Jazz 18 Beispiele aus zehn verschiedenen Stilen, vom Blues über

Swing bis zu Bossa und Soul-Jazz. Er schreibt stilistisch typische und geschmackvolle Stil-

kopien, die sich sowohl auf die Kompositionsweisen als auch auf Spieltechniken einiger berühmter

Jazzpianisten beziehen, so Oscar Peterson, Thelonious Monk oder McCoy Tyner. Die

Klaviersätze sind reduziert und leichter spielbar als Transkriptionen vieler Originale, dabei

erleidet das Stilistische jedoch keine Verluste.

Stefan Veits Band enthält neben Notenbeispielen einen umfangreichen Lehrgang.

Beginnend mit Grundlagen (Skalen, Intervalle etc.) kommentiert er jedes Stück recht

ausführlich bezüglich der enthaltenen Materialien (Akkordaufbau, Akkordsatz, Skalen usw.).

Dabei wird die in den USA übliche Begrifflichkeit eingeführt, z.B. „double lead triads” für

Akkordbildungen mit Verdopplung des Melodietons. Die Erläuterungen sind verständlich

formuliert, häufig durch zusätzliche Notenbeispiele veranschaulicht.

Andreas Hertel erklärt zum musikalischen Material fast nichts, er gibt zu jedem Stück wenige

Hinweise zu Skalen, Lagen, melodischen Besonderheiten, zuweilen licks, hier auch mit kurzen

Notenbeispielen. Kenntnisse der Harmonielehre muss sich der Klavierschüler oder die -

schülerin selbst aneignen; der Autor empfiehlt, sich in die Obhut eines Lehrers zu begeben.

Veits neun Kapitel fußen auf je einem Beispiel, das zuweilen in verschiedenen Fassungen

vorgestellt wird. Neben den Transkriptionen steht je ein Kapitel „Practice and Play”, das

Anleitungen zur Improvisation liefert; hierbei wird sehr genau auf Begrenzungen und

Progression geachtet. Ferner stellt Veit Aufgaben zum Komponieren im Sinne von

verlangsamter Improvisation.

Hertel hingegen kommt pro Kommentar mit einer Seite aus, neben einführenden Worten zum

Stück listet er unter „Lead Sheets” ähnlich zu spielende Standard-Stücke auf, gefolgt von

knappen Hinweisen zur Improvisation.

Beide Autoren beantworten die Gretchenfrage für die Abfassung einer Jazz-Schule - „Wie viel

soll ich erklären?” - nahezu entgegengesetzt. Das Problem ist, dass es kein verbindliches

Standardwerk über die Grundlagen des Jazz gibt, auf die verwiesen werden könnte. Für die

Lernenden mögen beide Wege nutzbringend sein, es kommt auf die Vorkenntnisse und

Vorlieben an, auch auf das jeweilige Angebot an Jazzstilen. Es besteht immer die Gefahr, dass

manche solche Schulen eingeschränkt nutzen, nämlich nur die gegebenen Beispiele

durchspielen bzw. üben. Dies entspricht explizit nicht der Intention beider Autoren.

Ungewöhnlich bei Veit ist die Annahme, Blues-Skalen bei der Transposition auf einer anderen

Stufe beginnen zu lassen, z.B. den Grundton als 6. Stufe aufzufassen. Dies mag zwar

technisch vorteilhaft sein, könnte aber das Grundtongefühl beeinträchtigen. Die Dur-Terz im

Blues erscheint sehr spät in seiner Schule. Typisch sind gleichbleibende Strukturen in der

rechten Hand, die mehrmals thematisiert werden.

Sowohl Veit als auch Hertel zeichnet eine Begeisterung für ihre Gegenstände aus, die sich bei

intensiver Anwendung sicher überträgt.


Christian Kuntze-Krakau

erschienen in: üben & musizieren 3 / 2012, Seite 60